Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz e.V.

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Vögel 

Geflügelpest in der Wetterau

Vorläufige Analyse der Hintergründe

(Anmerkung: Die geäußerten Ansichten sind die des Verfassers und nicht notwendigerweise der HGON)

Das Jahr 2022 hat weltweit die schlimmsten Ausbrüche von Geflügelpest (Vogelgrippe) aller Zeiten gesehen (z.B. Kruckenberg 2022). Die Verluste insbesondere an Seevögeln (Seeschwalben, Basstölpeln, aber auch Krauskopfpelikanen) während der Brutzeit waren beispiellos und katastrophal. Hessen, als ein Bundesland mit wenigen Betrieben der Geflügel-Exportwirtschaft, bleibt gewöhnlich von Ausbrüchen weitgehend verschont. Noch nie gab es hier einen Geflügelpestausbruch in einem kommerziellen Geflügelhof - bis zum 8. November 2022.

Der erste hessische Fall in einem kommerziellen Geflügelhaltung überhaupt

An diesem Tag wurde in einem Putenzuchtbetrieb in der Wetterau (Hungen, Landkreis Gießen) das Virus H5N1 nachgewiesen, nachdem 50 Puten plötzlich eingegangen waren. Der Betrieb liegt in unmittelbarer Nähe zu einem der Naturschutz-Gewässer der Wetterau (Großer Knappensee, ~250 m entfernt!), so dass erhöhte Gefahr für die Wasservögel dort zu befürchten ist. Auffällige Beobachtungen, z.B. von toten Vögeln, oder ungewöhnliches Verhalten (im Kreis schwimmen, krampfartige Kopfbewegung) sollten an die zuständigen Behörden gemeldet werden (Kontaktdaten finden Sie am Textende). Bisher, das muss betont werden, gibt es keine auffälligen Befunde bei Wildvögeln in der Wetterau (Stand 16.11.2022).

Wie kam das Virus in die Wetterau? Nicht durch "Zugvögel" oder "Wildvögel" jedenfalls, soviel ist sicher. Der Ausbruch ist auch nicht isoliert, sondern steht in einer Reihe mit einem ganzen "Cluster" von Ausbrüchen in Geflügelhaltungen rund um den Westerwald (NRW, RP) aber auch in Bayern (Karte: Internet-Quelle 1). Insbesondere das Cluster im Westen unweit von Hessen erinnert stark an ähnliche Ausbruchsserien, die 2021 durch einen Geflügelhändler aus Delbrück (NRW) verursacht worden waren. Seinerzeit waren durch Verkauf von infiziertem Geflügel auf Dorfmärkten Dutzende von Ausbrüchen im Schwarzwald, aber auch in Thüringen ausgelöst worden (Internet-Quelle 2).

Mögliche Hintergründe - erste Hinweise

Hinweise auf die möglichen Hintergründe der aktuellen Ausbruchserie liefert ein Bericht der Bundesregierung an das zuständige EU-Komitee aus dem Oktober (21.10.2022; Internet-Quelle 3), der die Fälle in Deutschland im Jahr 2022 schildert. Bemerkenswert ist insbesondere ein Ausbruch bei einem Geflügelhändler in Gütersloh, der am 14.10.2022 bemerkt wurde und zum Zeitpunkt des Berichts noch nicht in allen seinen Auswirkungen absehbar war. Von diesem Betrieb aus gab es "Kontakte" (also vermutlich Geflügellieferungen) in 10 Bundesländer, darunter neben Hessen auch BW und Bayern, sowie nach Österreich, Belgien, Dänemark und die Niederlande. Außerdem wurden noch weitere Händler beliefert, was die möglichen Verzweigungen noch ausdehnt. Bis Mitte Oktober wurden in Schleswig-Holstein zwei Folgeausbrüche nachgewiesen.

Hessen ist dabei also sowohl Empfängerland für "verdächtiges" Geflügel (dessen Verbleib hier unklar ist), als auch Transitland für Transporte in die südlichen Nachbarländer. Eine direkte Beziehung des Ausbruchs in der Wetterau zu dem Fall in Gütersloh erscheint aber unwahrscheinlich, da der Händler - soweit bekannt - keine Puten verkauft hatte. Ein zufälliger "Kollateralschaden" im Betrieb in der Wetterau durch unbemerkte Kontakte zu den Transporten von infiziertem Geflügel wäre aber denkbar.

Der Bericht (Internet-Quelle 3) gibt aber indirekt noch weitere Hinweise auf die Verbreitungswege der Viren in Deutschlands Geflügelhaltungen. So zeigt eine Abbildung (Folie 8) die Zahl der wöchentlich entdeckten Ausbrüche in deutschen Geflügelhaltungen seit Mitte Juli 2022. Verblüffend ist dabei die Gleichmäßigkeit - waren es zuerst über 7 Wochen hinweg jeweils 1 oder 2 Ausbrüche pro Woche, folgten dann 4 Wochen mit jeweils genau 3 Ausbrüchen, mit anschließender Tendenz zu 3-5 Ausbrüchen pro Woche. So eine gleichmäßige Verteilung kann niemals durch zufällige Infektionen durch überfliegende "Wildvögel" oder "Zugvögel" erklärt werden! Ohne Zweifel spiegeln sich hier Abläufe in der Geflügelzucht wider, die ja gestaffelt ablaufen, um eine gleichmäßige Anlieferung an Schlachthöfe zu gewährleisten. Eine Verschleppung der Viren in die Wetterau wäre also möglich z.B. durch Ausstalltrupps, die Geflügelbestände von einem Stall in einen anderen bringen.

Ausblick - wenig behördliches Interesse an einer Aufklärung?

Ob die Öffentlichkeit jemals die tatsächlichen Hintergründe erfahren wird ist zweifelhaft. Die überregionalen Zusammenhänge könnten z.B. durch genetische Vergleiche der Viren rasch aufgeklärt werden - aber gerade da sind die Behörden in Deutschland besonders zurückhaltend. In 2022 sind gerade mal 3 Gensequenzen von - hier nicht relevanten - Geflügelpestviren aus Deutschland veröffentlicht worden (Stand 16.11.2022; Internet-Quelle 4). Das behördliche Interesse an einer Aufklärung scheint also gering zu sein.

Quellen

Kruckenberg, H. (2022): Jetzt eine echte Gefahr für die Vogelwelt: Die Geflügelpest greift um sich.- Der Falke 69(10): 13-17
Internet-Quelle 1: www.fli.de/de/aktuelles/tierseuchengeschehen/aviaere-influenza-ai-gefluegelpest/karten-zur-klassischen-gefluegelpest/
Internet-Quelle 2: food.ec.europa.eu/document/download/0245cebc-df42-4bc1-a281-236d67a39e75_en
Internet-Quelle 3: food.ec.europa.eu/horizontal-topics/committees/paff-committees/animal-health-and-welfare/presentations_en
Internet-Quelle 4: platform.epicov.org/epi3/frontend

Stand 16.11.2022
Dr. Peter Petermann, Kontakt: PPeterman@aol.com

 

Was tun bei Totfunden von (Wasser-) Vögeln in der betroffenen Region?

BITTE nur bei wirklich begründeten Verdachtsfällen handeln - die meisten Totfunde von Wildvögeln haben nichts mit Vogelgrippe zu tun (siehe unten)!

  • Im Landkreis Gießen Totfunde dem Fachdienst Veterinärwesen und Verbraucherschutz melden (Tel: 0641 9390-6200; E-Mail: poststelle.avv@lkgi.de).

  • Im Wetteraukreis das Veterinäramt informieren (Tel: 06031 83-4601; oder Kontaktformular im Internet nutzen).

Was sollte gemeldet werden:

  • Totfunde, wenn mehrere tote (Wasser-) Vögel zusammen gefunden werden, insbesondere Schwäne oder Parkgänse (z.B. Kanadagänse)

  • Funde von toten oder erkennbar kranken Greifvögeln in Gewässernähe (keine Unfallopfer)

Nicht melden:

  • Verkehrsopfer, Fensteranflüge und andere Unfallopfer,

  • von Beutegreifern gerissene / gerupfte Vögel (einschl. von Katzen angeschleppte Vögel),

  • tote Singvögel, außer bei Häufung von Todesfällen - dann besteht der Verdacht auf andere Krankheiten bzw. Parasiten,

  • einzelne tote Vögel ohne erkennbare Ursache.

Danke!