Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz e.V.

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Große Freude im Werratal

Rolf Semmelrodt hat die erste erfolgreiche Storchenbrut im Werra-Meißner-Kreis begleitet und dokumentiert.

Auf dem „Steinernen Haus“ in Schwebda brütete bereits 1942 ein Storchenpaar. Heute, 78 Jahre später, wurde eine neue Storchenfamilie gegründet, von der dieserArtikel berichtet. Auch schon im Jahre 1983 brütete ein Paar in Lauchröden, in Thüringen, auf der anderen Seite derWerra. Für diese Störche gab es kein geteiltes Deutschland, denn zur Nahrungssuche flogen sie überden Grenzzaun zu den Werra-Feuchtgebieten bei Herleshausen. Im Werratal bekamen wir Störche selten oder gar nicht zu sehen.

In Frieda, einem Nachbarort von Schwebda, ließ sich Anfang April 2019 ein Weißstorchenpaar auf dem Schlot der ortsansässigen Firma „friedola“ nieder. Sie mussten sich ihr Nest selbst bauen und begannen mit dem Brüten, haben es aber leider nicht beendet. Ab dem 11. Mai waren keine Störche mehr zu sehen. Obwohl die Naturfreunde bereits im Jahr 2001 einen Horst auf dem „Steinernen Haus“ in dem Rittergut Schwebda errichtet hatten, flog „Meister Adebar“ in den letzten Jahren über ihn hinweg. Vielleicht aus Richtung Süd-West kommend und in Richtung Nord-Ost fliegend überquerten sie den Werra-Meißner-Kreis. Von oben sahen sie den Werratalsee, die Werra mit ihren Wiesen, das Rittergut Schwebda mit seinen Pferdeweiden, den Getreidefelder und einen auf sie wartenden, fertigen Horst. Für die 2 Störche bedeutete das ein Nahrungsangebot von Würmern, Schnecken, Mäusen, Maulwürfen, Fischen und Fröschen. Es blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als Ende Mai 2020 hier zu landen.

Vom 1. Juni bis zum 18. August durfte ich die 5-köpfige Familie beobachten, ihr Verhalten studieren, bestaunen und fotografieren. Den Vater sah ich am 7. Juni nur ein einziges Mal. Meistens kümmerte sich die Mutter um den Nachwuchs. Leider machte es der hohe Rand des Horstes mir unmöglich, von der Brütungsphase zu berichten. Die Kommunikation zwischen der Mutter und den Nesthockern in Form von Schnabelklappern war faszinierend. Meistens wussten die kleinen, aus welcher Richtung die Mutter den Horst anflog und begrüßten sie. Der heiße Sommer zwang die Mutter viel Wasser herbeizuschaffen. Die Jungvögel streckten ihren Schnabel senkrecht in die Luft und sie steckte ihren Schnabel hinein und übergab die Flüssigkeit. Die Verteilung der Festnahrung ging nicht von Schnabel zu Schnabel wie bei anderen Vogelarten, sondern siewürgte die Mäuse etc. aus ihrem Kehlsack und ließ sie auf dem Boden fallen. Diese Art der Fütterung hat natürlich auch seine Nachteile, denn der kräftigste Jungstorch setzt sich gegen seine Geschwister durch und bekommt die größten Happen. Dass Weißstörche Frösche fressen ist im Allgemeinen bekannt, aber nach der Trockenlegung vieler Flussauen ist es eher selten, dass Frösche erbeutet werden. Die Nahrung kann sehr unterschiedlich sein und einseitig ausfallen. In jüngster Zeit konnte beobachtet werden, wie Störche auf Wiesen nach Staren schnappen und sie fressen.

Die spannendste Phase meiner Beobachtungen begann Ende Juli. Der erst Geschlüpfte begann fliegen zu lernen. Zunächst hopste er im Nest herum, erhob sich dann einige Zentimeter in die Höhe und ließ sich wieder hinab sinken. Dann spreizte er die Flügel, die bereits den Horst überragten. Diese Übungen wiederholte er mehrmals am Tag und sie wurden immer intensiver. Er musste aufpassen, dass er seine jüngeren Geschwister nicht aus dem Horst warf. Die anderen zwei folgten in Abständen von einigen Tagen und es wurde eng auf dem Horst. Hauptsächlich, wenn die Mutter zur Fütterung anflog.

Am 10. August stand der größte von den drei Jungvögeln am Rand des Horstes und startete seinen Jungfernflug. Was für ein Anblick. Mit einer Flügelspannweite von ca. 2,20 Meter segelte er über mich hinweg und landete auf der Pferdekoppel. Eine Woche später, hatten alle 3 Jungvögel das Nestverlassen und mussten selbst nach Futter suchen. Das außergewöhnlichste Bild entstand am 15. August. Abstand haltend und zu den Eltern gewandt standen sie auf dem Feld und verabschiedeten sich, bevor sie dann am 18. August abflogen, um sich mit anderen Jungvögeln zu großen Trupps zusammen zu schließen. Hier wurde der Flug in den Süden (Spanien oder Afrika) vorbereitet. Irgendwann im September folgten dann auch die Eltern. Da die Jungstörche erst in 2 bis 3 Jahren, wenn siegeschlechtsreif sind, nach Deutschland zurückkommen, hoffen alle Naturfreunde, dass sich die Störche im nächsten Frühjahr noch an das Rittergut Schwebda erinnern und den Horst auf dem „Steinernen Haus“ in Besitz nehmen.  

Rolf Semmelrodt Naturschützer und Naturfotograf

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