Verursachen Vogelbeobachter*innen Störung?
Neue Studie zum Einfluss des Vogeltourismus auf Vögel.
Ein Ausflug zum Teufel- und Pfaffensee oder in die Kühkopf-Knoblauchsaue um einige Vogelarten aus der Nähe zu beobachten oder um Fotos der Vögel zu machen – Hessen bietet einige Beobachtungsgebiete mit vielfältigen Lebensräumen, die zum Naturentdecken und zum Beobachten von Vögeln einladen (siehe hierzu: Beobachtungsgebiete in Hessen). Haben Sie sich aber schon einmal Gedanken gemacht, ob Ihre Beobachtungsaktivität oder das Verhalten anderer Vogelbeobachter*innen zur Störung der Vögel führt und wie Sie überhaupt eine Störung erkennen würden?
Um einen nachhaltigeren Tourismus zur Beobachtung von Vögeln zu ermöglichen, ist ein besseres Verständnis des Verhaltens von Vogelbeobachter*innen erforderlich, da dieses zu einer erheblichen Störung von Wildtieren führen kann. Dieser Thematik widmeten sich Øystein Aas, von der norwegischen Universität NMBU in Ås, und Kolleg*innen in der Publikation „Your place or mine? Exploring birdwatching tourists’ behaviour disturbing birds in a nature reserve“, welche in der Fachzeitschrift “European Journal of Wildlife Research” erschienen ist:
Der Hornøya-Vogelfelsen
Die Studie wurde an einem beliebten Vogelbeobachtungsort auf der Insel Hornøya im Nordosten Norwegens durchgeführt: dem Hornøya-Vogelfelsen, auf welchem beispielsweise Trottellumme, Dreizehenmöwe und Papageientaucher brüten. Die gesamte Insel Hornøya ist Naturschutzgebiet und kann während der Brutzeit vom 01. März bis 15. August besucht werden. Im Rahmen der Studie wurden die Besucher*innen der Insel in drei Gruppen eingeteilt:
- Vogelbeobachtungs-Touristen („generalist birdwatching tourists”)
- Erfahrene Vogelbeobachter („experienced birdwatchers“)
- Erfahrene Tierfotografen („experienced bird photographers”)
Zielsetzung der Studie
Daten dieser drei Gruppen wurden im Jahr 2018 über Interviews mit den entsprechenden Besucher*innen und über systematische Beobachtungen der Besucher*innen am Vogelfelsen gesammelt, um drei Hauptziele zu verfolgen:
- Identifizierung sowie Charakterisierung von illegalen und legalen, aber potenziell für die Seevögel schädlichen Verhaltensweisen von Besucher*innen an dem Beobachtungsort
- Einschätzung der Einstellung von Besucher*innen zur Störung von Vögeln, indem untersucht wurde, wie die Besucher*innen das Verhalten der Vögel interpretieren und wie sie die Folgen einer möglichen Störung einschätzen
- Untersuchung der Rolle von Normen und wahrgenommener Verhaltenskontrolle bei Besucher*innen in Bezug auf Störereignisse
Illegale Verhaltensweisen am Vogelfelsen
Informationen über den Hornøya-Vogelfelsen und die Vorschriften des Schutzgebiets, z. B. wo der Zutritt für Touristen gestattet ist, beschränken sich auf einfache Schilder und eine Abgrenzung erfolgt durch einfache Zäune aus Seilen. Als illegale Verhaltensweisen wurden Aktivitäten gezählt, die eindeutig gegen die Regeln des Schutzgebietes verstoßen: Übertreten der Zäune und Missachten von Begrenzungsschildern, die den Bereich zwischen Tourist*innen und Vögeln abgrenzen. Verhaltensweisen, die nicht illegal sind, aber trotzdem potenziell zu einer Störung führen, umfassten u.a. laute Geräusche, abrupte Bewegungen, nahes Herantreten an Vögel, die sich immer Besucherbereich befanden, oder Hinterlassen von Müll.
Verursachen Fotograf*innen am meisten Störung?
Die Mehrheit an beobachteten Besucher*innen verhielt sich nicht in einer Weise, die als illegal, unangemessen oder potenziell störend eingestuft wurde. Insgesamt wurden im Erfassungszeitraum (Mai bis Juni) jedoch mehr als 40 Vorfälle von illegalem oder potenziell schädlichem Verhalten beobachtet. Der höchste Anteil (48%) an illegalen und potenziell störenden Verhaltensweise wurde bei der Gruppe der „erfahrenen Tierfotografen“ erfasst. Die „erfahrenen Tierfotografen“ waren die Personengruppe, welche am ehesten den ausgewiesenen Besucherbereich verließen und den eigentlich geschützten Bereich betraten. Befragte Besucher*innen erkannte bzw. definierten eine Störung der Vögel meist als „Verlassen des Nestes“ oder „Fluchtverhalten von den Menschen weg“. Viele der Besucher*innen gaben an, dass sie vermuten, dass die Seevögel am Vogelfelsen bereits an die Menschen gewöhnt sind. Die Autor*innen der Studie weisen jedoch darauf hin, dass die Seevögel bei einer potenziellen Gefahr die Kosten und Vorteile abwägen, ob sie das Nest aufgrund der Bedrohung verlassen oder den Stress aushalten und bei ihrem Ei oder Küken bleiben. Daher sind einige mögliche negative Auswirkungen von Störungen, wie z. B. erhöhter Stress, von den Besucher*innen schwer direkt zu beobachten und zu erkennen.
Verhaltenskontrolle - Reaktion der Besucher*innen bei störendem Verhalten
Nur sehr wenige Befragte gaben in den Interviews an, dass sie andere Besucher*innen auffordern würden unangemessenes oder illegales Verhalten zu unterlassen. Laut Autor*innen könnte ein Grund für die fehlende Konfrontation bei beobachteten Regelverstößen sein, dass die Beobachter*innen vermuten, dass die Besucher*innen, welche die Regelverstöße begehen, starke Persönlichkeiten und Meinungen sowie viel Selbstbewusstsein haben und auch aggressiv reagieren könnten. Generell waren sowohl Fotografen als auch „erfahrene Vogelbeobachter“ häufig der Meinung, dass sie nicht unbedingt dazu lernen müssten und die richtigen Verhaltensweisen bereits selbst einschätzen können. So äußerte beispielsweise ein Fotograf aus der Schweiz: „Ich kann die Reaktion eines Vogels analysieren. [....] Für einen Spezialisten ist das leicht zu erkennen […].“. Zudem gaben die Tierfotografen häufig an, dass sie die richtigen Lichtverhältnisse und den richtigen Winkel für das gewünschte Bild finden müssten.
Verbesserung des Besucher-Managements?
Die Autor*innen führen an, dass es vor allem einer besseren Beschilderung für Wege sowie Schildern für Informationen zu den Seevögeln und einem wirksameren Zaun bedarf. Von Seiten der Besucher*innen gab es häufig den Vorschlag, dass Touristenführer*innen auf der Insel als Aufsichtspersonal fungieren könnten, um störendes Verhalten der Besucher*innen zu korrigieren und zu unterbinden. Es wird vermutet, dass Aufklärung und Wissensvermittlung vorwiegend Verhaltensänderungen bei den Besucher*innen bewirken, die am wenigsten Vorwissen besitzen, in dem Fall der Studie also bei den „Vogelbeobachtungs-Touristen“. Im Gegensatz hierzu wird angenommen, dass beispielsweise die „erfahrenen Tierfotografen“, die sich störend verhalten, sich bereits bewusst sind, dass sie gegen Regeln und Normen verstoßen. In ihrem Fall wäre also Aufsichtspersonal effektiver. Zukünftige Untersuchungen sollten herausfinden, weshalb Besucher*innen mit höherem Wissensstand über die Verhaltensweisen der Vögel sich trotzdem so verhalten, dass die Vögel (wissend und mutwillig) gestört werden, was eigentlich gegen die Einstellung für die Notwendigkeit für besseren Natur- und Artenschutz steht, die dieser Personenkreis häufig teilt.
Dr. Yvonne Schumm
Hinweis: Der Artikel gibt die Inhalte der Studie wider und ist nicht mit der Position der HGON gleichzusetzen. Wir hoffen jedoch, für das Thema sensibilisieren zu können. Beeindruckende Naturfotografien unterstützen uns bei unserer aktiven Naturschutzarbeit. Wenn dabei behutsam und störungsarm vorgegangen wird, kann man die fotografischen Ergebnisse auch genießen.