Turteltauben-Besenderung der Universität Gießen
Von Deutschland zum Überwintern in die Sub-Sahara: Westliche oder zentrale Zugroute?
Die europäische Turteltaube Streptopelia turtur ist das kleinste Mitglied der in Europa einheimischen Wildtauben und der einzige Langstreckenzieher unter diesen. Früher war die Turteltaube eine weit verbreitete und häufige Brutvogelart in weiten Teilen des europäischen Kontinents, Westasiens und Nordafrikas. In den letzten Jahrzehnten wurden jedoch starke Bestandsrückgänge verzeichnet. Europaweit sind die Bestände zwischen 1980 und 2017 um etwa 80% gesunken, was zu einer Aktualisierung des internationalen Aktionsplans für die Art führte (Fisher et al. 2018).
Die AG Verhaltensbiologie & Ökophysiologie der Justus-Liebig-Universität Gießen erforscht bereits seit mehreren Jahren verschiedene ökologische Aspekte von Turteltauben in (z. B. Kleemann & Quillfeldt 2014, Calderón et al. 2016, Marx et al. 2016, Marx & Quillfeldt 2018). Nach dem Vorbild britischer und französischer Besenderungsprojekte wurden im Jahr 2016 erstmals Turteltauben auf Malta besendert. Seit dem Jahr 2018 fand auch eine Besenderung mit dem Ziel ein genaueres Bild der Überwinterungsgebiete, Zugrouten, und Rastgebiete sowie der Zugphänologie zu erhalten, in Deutschland statt.
Die Ergebnisse dieses Projektes, welches in Zusammenarbeit mit BirdLife Malta, dem Naturschutzbund Deutschland (NABU) und der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) erfolgte, wurden nun in der Fachzeitschrift Behavioral Ecology and Sociobiology veröffentlicht:
Year-round spatial distribution and migration phenology of a rapidly declining trans-Saharan migrant—evidence of winter movements and breeding site fidelity in European turtle doves
Besenderungsdaten zeigen auch naturschutzrelevante Problematiken auf
Der Artikel beinhaltet allgemeine Beschreibungen zur Habitatnutzung, Zugphänologie und -routen der besenderten Turteltauben. Interessanterweise, nutzen nicht alle „hessischen“ Turteltauben die gleichen Zugrouten: Während vier Individuen, wie auf Basis von Ringwiederfunden erwartet, der westliche Zugroute folgten, migrierte ein Turteltaubenweibchen über Korsika und Sardinien nach Tunesien, folgte also einer zentraleren Zugroute in das afrikanische Überwinterungsgebiet.
Darüber hinaus konnten anhand der Besenderungsdaten naturschutzrelevante Problematiken aufgezeigt werden. So zeigte sich, dass die Mehrheit der Turteltauben nach Verlassen des Brutgebiets für längere Zeit in Rastgebieten in Europa, z.B. Frankreich, Slowakei oder Ungarn, verweilten und sich der Zeitraum dieser Rast mit dem Zeitraum der legalen Jagdaktivitäten in einigen Ländern überschneidet, was eine potentielle Gefahr für diese Individuen darstellt. In diesem Zusammenhang bemüht sich aktuell ein internationales Gremium unter Leitung der EU-Kommission um eine stärkere Regulierung der Jagd, um dem Populationsrückgang entgegenzuwirken.
Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass ein höherer Anteil an landwirtschaftlichen Flächen im Aktionsradius („Home range“) der Turteltauben eine Vergrößerung des Aktionsradius zur Folge hat. Dies ist vermutlich bedingt dadurch, dass die Nahrungssuche in intensiv landwirtschaftlich genutzten Gebieten über weite Strecken erfolgen muss, um qualitativ hochwertige Nahrungsressourcen zu erreichen. Es ist wahrscheinlich, dass die langen Distanzen die Körperkondition der adulten Turteltauben während der Brutsaison beeinträchtigen, was sich negativ auf den Bruterfolg auswirken kann. Dies bekräftigt die Annahme anderer Wissenschaftler*innen, dass die räumliche Nähe geeigneter Nist- und Futterplätze eine wichtige Voraussetzung für ein geeignetes Turteltauben-Bruthabitat ist und eine gezielte Aussaat von geeigneten Futterpflanzen eine sinnvolle Schutzmaßnahme für Turteltauben darstellen kann.
Yvonne Schumm & Prof. Dr. Petra Quillfeldt (JLU Gießen)
Literaturverweise:
Marx M, Korner-Nievergelt F, Quillfeldt P (2016) Analysis of ring recoveries of European Turtle Doves
Streptopelia turtur — flyways, migration timing and origin areas of hunted birds. Acta Ornithol 51: 55–70. OPEN ACCESS